Der geschlossene Plastikkreislauf: Wie cirplus dem Plastikmüll ein Ende setzen will

„400.000.000 Tonnen Plastik werden jedes Jahr aus Erdöl produziert, Tendenz steigend.“ Das Erste, was Christian Schiller sagt, als er die Bühne des EIT Climate-KIC Demo Days 2019 für seinen Unternehmenspitch betritt, schockiert. Klar: Dass die Welt ein riesiges Müllproblem hat, wissen wir spätestens seit den erschreckenden Bildern von unter Plastik vergrabenen Sandstränden, kilometerlangen Müllteppichen auf den Ozeanen oder kleinen Häufchen Kunststoffabfälle, die aus den Mägen von Meeresbewohnern geborgen wurden. Aber 400.000.000 Tonnen Neu-Plastik? Gibt es nicht viel mehr Recycling?

„Nein“, sagen Christian Schiller und Volkan Bilici, die Gründer von cirplus. „Recycelt wird nur ein geringer Teil.“ Aber mindestens zehn Millionen der 400.000.000 Tonnen Plastik landen jedes Jahr im Ozean.

Genau damit verbindet Christian Schiller selbst eine lebensverändernde Erfahrung: Als er auf einem Segeltörn zwischen Kolumbien und Panama mit den Beinen im Wasser baumelte, berührte ihn etwas am Fuß. Zunächst erschrak er, weil er dachte, es handelte sich um einen Hai. Vor ihm jedoch erstreckte sich riesiger Müllteppich. Als er diesen sah, konnte er fortan nicht mehr wegsehen. Zurück in Deutschland begann er deshalb, etwas in Gang zu setzen. Im Interview hat er uns erzählt, was genau.

Christian, was bedeutet Cirplus – und was ist eure Zukunftsvision?

Unser Name setzt sich aus den englischen Wörtern „circular“ – für „zirkulär“ – und „surplus“ – für „Mehrwehrt“ oder „Überschuss“ – zusammen. Dieses Wortspiel spiegelt unsere Vision wieder: den Plastikkreislauf zu hundert Prozent zu schließen, indem wir einen globalen B2B-Marktplatz für recycelte Kunststoffe bauen. Dieser soll den Einkauf und Vertrieb von recyceltem Plastik so einfach wie möglich machen, indem wir die kunststoffverarbeitende Industrie mit der Entsorgungsindustrie vernetzen. Gegründet haben wir im Dezember, unseren ersten Prototypen gibt es seit April 2019.

Können Firmen nicht einfach irgendwo Plastikmüll einkaufen – und fertig?

Das wünscht sich die Branche, aber so einfach ist es nicht. Bisher wurde nicht besonders viel recycelter Kunststoff von der Verpackungsindustrie eingekauft, deshalb besteht kein richtiges Netzwerk. Die Verwendung von Recyclat war bis vor Kurzem nicht gesetzlich vorgeschrieben war – und es ist schlichtweg zu teuer. Neukunststoff aus Erdöl ist billiger und hat auch eine höhere Qualität. Recycelter Kunststoff ist teurer, weil er erst gesammelt, sortiert und aufbereitet werden muss. Gleichzeitig ist die Qualität schlechter. Für Einkäufer von Unternehmen ist die Rechnung also: Kaufe ich günstiges Neuplastik von hoher Qualität oder umweltfreundlicheres Recyclat, das teurer ist und eine schlechtere Qualität hat?

Aber diese Rechnung geht für Einkäufer jetzt nicht mehr ganz auf …

Genau, denn es gibt seit Anfang des Jahres ein neues Verpackungsgesetz in Deutschland. Dieses hat zum Ziel, den Preis für recycelte Kunststoffe zu senken – und es gleichzeitig teurer zu machen, sogenanntes „Virgin Plastic“, also Neuplastik, zu nutzen. Das Gesetz richtet sich an die Verpackungsbranche, weil diese jedes Jahr mit Abstand am meisten Kunststoff einkauft. Knapp 40 Prozent des Plastikbedarfs in der Europäischen Union kommt vom Verpackungssektor.

Worum geht es bei dem neuen Verpackungsgesetz?

Mit dem Gesetz werden drei Hebel gesetzt, damit die Verpackungsindustrie vom Virgin Plastic weggeführt wird und mehr recycelt. Dazu muss Recyclat günstiger werden. Die erste Maßnahme ist: Mit dem Gesetz wird die geforderte Recyclingquote erhöht. Unternehmen müssen seit diesem Jahr nachweisen, dass mindestens 58,5 Prozent ihrer Plastikverpackungen recycelt werden, ab 2021 sogar 63 Prozent. Hintergrund: Mehr recyceltes Plastik im Kreislauf bringt den Preis runter.

Die zweite Maßnahme: Unternehmen müssen dafür Sorge tragen, dass das von ihnen eingesetzte Plastik unkompliziert zu recyceln ist. Dadurch wird das Recyclat günstiger, denn die Aufbereitung wird vereinfacht. Auch die Qualität wird besser, wenn sortenreiner Kunststoff verwendet und nicht so viel durchmischt wird. Unternehmen werden also gezwungen, ihre Verpackungen von der Recyclingfähigkeit her zu denken, nicht mehr nur vom Marketing her.

Und die dritte Maßnahme?

Das Gesetz verpflichtet die Unternehmen zu einem bestimmten Anteil Recyclat in ihren Verpackungen. Die zweite und dritte Maßnahme – also die Recyclingfähigkeit und der Anteil Recyclat – werden außerdem über ein Bonus-Malus-System gesteuert. Unternehmen bezahlen eine Gebühr für die Entsorgung. Diese richtet sich zukünftig danach, wie viel Recyclat eine Firma verwendet und wie recyclingfähig ihre Verpackungen sind. Dadurch wird das Preisdifferenzial zwischen Recyclat und Virgin Plastic kompensiert, sodass jeder Einkäufer erkennen muss: „Okay, das Neuplastik ist billiger, aber dafür wird es bei der Entsorgung wieder teurer.“

Unternehmen werden also in Zukunft verstärkt Recyclat einkaufen?

Genau. Nur: Sie wissen nicht wo und wie. Hier kommen wir ins Spiel. Bisher wurde Plastik von der Verpackungsindustrie einfach bei Chemieunternehmen eingekauft. Jetzt brauchen sie ein Netzwerk in der Entsorgungswirtschaft. Und das ist eine der am wenigsten digitalisierten Branchen überhaupt. Noch weniger als die Kunststoffbranche selbst. Zusätzlich ist die Recyclingbranche auch noch von hoher Fragmentierung gekennzeichnet. Wir stellen also eine Plattform zur Verfügung, die alle miteinander vernetzt – den Müllproduzenten mit dem Recycler, den Recycler mit dem Einkäufer und so weiter.

Warum liegt euch dieses Thema so am Herzen?

Bei mir ist es ganz klar die Erfahrung, den Müllteppich auf dem Ozean mit eigenen Augen gesehen zu haben. Ich habe mich gefragt: Wie kann es sein, dass wir Trillionen ausgeben, um Erdöl aus dem Boden zu holen – und am Ende landet vieles davon als Verpackung wieder im Ozean? Da stimmt doch irgendetwas nicht. Und vor allen Dingen: Bei Glas oder Metall passiert das nicht. Niemand wirft Metall weg. Warum? Weil das Material einen höheren Wert hat. Und Wert wird geschafft, indem Nachfrage generiert wird. Das soll mit dem neuen Verpackungsgesetz erreicht werden.

Wie hat euch EIT Climate-KIC bei eurer Idee geholfen?

Auf vielfache Weise. Wir haben freien Office Space – und das Coaching, dass wir hier bekommen, ist großartig. Wir haben gelernt, wie wir uns als Gründer aufstellen, wie wir im Team über Konflikte reden und schon heute daran zu denken, was für ein Unternehmen wir in Zukunft sein möchten. Wir sind dank EIT Climate-KIC viel besser vernetzt, nicht zuletzt auch mit Impact-Investoren.

Was sind momentan eure größten Herausforderungen?

Die größte Herausforderung ist, die ganze Maschine in den Gang zu bekommen. Kunststoff-, Müll- und Recyclingindustrie sind wie Dinosaurier. Die Vertreter dieser Zweige müssen wir davon überzeugen, welchen Mehrwert ein digitales Tool in Zukunft bringen kann. Und wir müssen sie davon überzeugen, uns beim Bau der Software aktiv zu helfen, denn nur sie verfügen über die nötigen Insights der Industrie.

Das ist erst mal ein schwieriges Stück Weg, doch danach wird für jeden Industriezweig alles einfacher: Wer Recyclat sucht, gibt die Art des Plastiks und die Menge in unsere Suche ein. Wer Recyclat anzubieten hat, braucht es ebenfalls nur einzutippen. Wir vernetzen dann alle miteinander. So können wir das volle Potenzial der Circular Economy nutzen und den Grundstein für unsere Vision setzen: einen hundertprozentig geschlossenen Plastikkreislauf.

 
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Deutschland
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